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barocke gedanken & okkultes blut, 2023
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Barocke Gedanken & Okkultes Blut

Lee Negris 2023

 

 

>>de

     Das Heilmittel ist zu einer wertvollen Rüstung geworden und die Krankheit scheint besiegt. Die Figur steht als Dokument einer Krankheitsgeschichte und der Spuren, die dabei materiell wie psychisch entstehen. Der Ursprung der Krankheit X ist umstritten, wenn auch ein unumstrittenes Zeichen der Wirkung der Psyche auf den Körper mit dem Potential diese hervorzurufen. Der Titel spielt auf die Gefühle der Überwältigung an, die Momente und Phasen der körperlichen Fragilität begleiten. Gleichzeitig gibt es einen Aspekt der übertriebenen Sorge und des Versuchs der Selbst- bzw. Fehldiagnose und die Lektüre über Einzelheiten von Symptomen oder Krankheitsbildern. Die Gedanken erheben sich wie steinige Berge im Gesicht und verzerren die Physiognomie; ein Kopf voll mit lauten Auswüchsen. Das medizinische Wissen akkumuliert sich an der Grenze zwischen wissenschaftlicher Neugierde und einem notdürftigen Ausweichmanöver, um dem zu entkommen was verborgen bleiben will. Das unbrauchbare Fachwissen hängt wie Gebetszettel an den strapazierten Nerven. 

 

        Die ersten Anzeichen von Krankheit, oft verborgen -okkult- lassen sich nur im Labor ausfindig machen. Hier ist die Wunde aber sichtbar und entfaltet sich auf einer Zeitachse mit den Abschnitten: Vergangenheit - Kindheit, Gegenwart - Erwachsensein, Zukunft - Lebensende. Die “Eingeweide“ sind offen zu sehen, als ein Vorschlag offen mit den eigenen Wunden umzugehen, sich selbst zu zeigen. Der Torso bleibt übrig als Sitz der Lebendigkeit aber auch als Eingeständnis der Ohnmacht, durch das Fehlen der Arme und Beine. Die vernieteten Flicken bilden eine dicke lederne Haut die resistent geworden ist.  Das Akzeptieren der Krankheit ob vorübergehend oder chronisch, als einen anderen auch natürlichen Zustand ermöglicht ein Verweilen zwischen Realismus und Hoffnung. Sontag beschreibt dies mit der Metapher einer Reise oder vielleicht eines möglichen Exils. 

     Dabei entsteht eine Rückbesinnung auf das Kind, die Unbeschwertheit und Neugierde die durch die Not in den Hintergrund treten. Das Kind sehnt sich nach Nahrung, Schutz und Spiel doch es bleibt von den nährenden Brüsten und dem Erinnerungsband an Spaß und Entwicklung getrennt. Das Netz als Überbleibsel des Hauhaltes isoliert das Kind und kehrt den Schutz durch die poröse Oberfläche um. Gold sind die Erinnerungen an endlose Spielstunden, an die schönen Momente, gebadet in ein warmes Licht. Nun hängen sie vergessen neben Vorhängen, Quasten und Einkaufsbeuteln; die alltäglichen Werkzeuge für Schutz und Nahrung und Spiel. Angesammelt aus Notwendigkeit werden sie Teil der Rüstung, die sowohl verhüllt als auch offen legt. Barocke Mode wird nachempfunden und umgekehrt indem die inneren Teile, die zur Form betragen, außen gezeigt werden. Die zarte Durchsichtigkeit des äußeren Stoffes und das Fragment von Sontag als Zuversichtstalisman umhüllen die inneren Sorgen und ihre rote, feurige Lebendigkeit.

 

 

"Krankheit ist die Nachtseite des Lebens, eine eher lästige Staatsbürgerschaft. Jeder, der geboren wird, besitzt zwei Staatsbürgerschaften, eine im Reich der Gesunden und eine im Reich der Kranken. Und wenn wir alle es auch vorziehen, nur den guten Ruf zu benutzen, früher oder später ist doch jeder von uns gezwungen, wenigstens für eine Weile, sich als Bürger jenes anderen Ortes auszuweisen”.

„Illness is the night-side of life, a more onerous citizenship. Everyone who is born holds dual citizenship, in the kingdom of the well and in the kingdom of the sick. Although we all prefer to use only the good pass-port, sooner or later each of us is obliged, at least for a spell, to identify ourselves as citizens of that other place.“

-Susan Sontag, Illness as metaphor, 1977

>>eng. 

    The remedy becomes a valuable armor and the disease appears to have been conquered. The figure stands as a document of a history of illness and the traces that develop both materially and psychologically. The origin of illness X is disputed, yet presents an undisputed sign of the effect of the psyche on the body potentially causing the illness. The title alludes to the overwhelming feelings that accompany moments and phases of physical fragility. At the same time, there is an aspect of excessive worry and attempts at self-diagnosis or misdiagnosis and study on details of symptoms or medical conditions. Thoughts arise like stony mountains in the face and distort the physiognomy; a head filled with loud projections. Medical knowledge accumulates on the line between scientific curiosity and a misguided effort to escape what strives to remain hidden. The unusable specified knowledge hangs at the ends of frayed nerves like prayer cards.

    

    The first signs of illness, often hidden - occult - can only be discovered in the laboratory. But here the wound is visible and unfolds on a timeline that includes past - childhood, present - adulthood, future - aging. The “guts” are displayed plainly, as a invitation to deal openly with one’s own wounds, to show oneself. The torso remains as the seat of liveliness but serves as an admission of powerlessness in the lack of arms and legs. The quasi riveted patches form a thick leather skin that has become resistant so strain. Accepting the illness, whether temporary or chronic, as another natural condition allows us to dwell between realism and hope. Sontag describes this with the metaphor of a journey to another place or perhaps an even an exile.

    

    This journey elicits a return to the inner child, the lightheartedness and curiosity that fades into the background in the face of hardship. The child longs for protection, food and play, but it remains separated from the nurturing breasts and the band of memories of fun and achievement. The net as a remnant of the household isolates the child and reverses the notion of protection via the porous surface. All memories of endless hours of play hang as cast offs on a strip. The impressions of the beautiful moments seem golden, bathed in a warm light. Now they hang forgotten next to curtains, tassels and shopping bags, the everyday tools for shelter and food and play. Accumulated by necessity, they become part of the armor that both conceals and reveals. Inspired by baroque fashion the principle is inverted by showing the inner parts that contribute to the volume on the outside. The delicate transparency of the outer fabric and Sontag’s fragment, that becomes talisman of confidence, envelop the inner worries and their red, fiery liveliness.

    

Sept. 2023

Barocke gedanken text
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